Die Beteiligten jedes Lernprozesses

von Hanniel Strebel
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Im zweiten Teil der Serie über das Lernen wenden wir uns einer wichtigen Frage zu: Wer ist in jedem Lernprozess beteiligt? Bevor du weiterliest, gebe ich dir eine Empfehlung mit: Lies Abschnitt für Abschnitt sorgfältig durch. Lass dich nicht entmutigen, wenn du den Gedanken nicht gleich verstehst. Das hat mit der Prägung deines und meines Denkens zu tun, nämlich dass Lernen ohne innerlichen Aufwand zu erfolgen habe. Es wird gefördert durch die scheinbare Verfügbarkeit des Wissens über das Internet. Mein Anliegen besteht darin, dir einen Rahmen für das Denken und für das Lernen zu geben, das von einer christlichen Sicht auf die Welt und das Leben geprägt ist. Unsere Umgebung hat uns anders geformt. Deshalb müssen die folgenden Überlegungen zuerst „gebahnt“ werden.

Der Schöpfer als erster Beteiligter in Lernprozessen

Ich beginne mit dem dreieinigen Gott. Ich nenne ihn bewusst an erster Stelle, weil Er ursprünglich ist. Er rief das Nicht-Seiende ins Dasein (Röm 4,17, vgl. Heb 11,3). Es gibt darum nichts, das wir nicht von Ihm empfangen hätten (1Kor 4,7). Zudem besteht alles jeden Moment durch Ihn (Heb 1,3).

Aus der augustinischen Denktradition – der Kirchenvater Augustinus (354-430 n. Chr.) hat der Pädagogik viele wichtige Impulse gegeben – heraus stammt die Überlegung, dass es keinen Gedanken gibt, der nicht von Ihm zuvor gedacht worden wäre. Natürlich haben wir Menschen in unserer Sünde manche dieser Gedanken verkehrt und entstellt. Das ändert jedoch nichts daran, dass wir grundsätzlich nur Gottes Gedanken „nach-denken“ können. Wir sehen den dreieinigen Gott eher als Schöpfer des sichtbar Geschaffenen als den Urheber aller Gedanken. Für Lernprozesse ist dieses Letztere jedoch bedeutsam.

Gehen wir noch einen Schritt weiter: Wenn Er uns geschaffen hat, dann hat Er das völlige Verfügungsrecht über uns. Darüber hinaus hat Er gänzlich darüber bestimmt, in welcher Art wir geschaffen worden sind. Das letzte Ziel des Lernens besteht darin, Ihn zu erkennen (vgl. Joh 17,3). Nun, was bedeutet das? Jede Bemühung des Lernens dient dem Ziel, mehr über den Schöpfer zu erkennen. Das fällt uns schon schwer, wenn wir die Bibel lesen. Es geht zuerst darum, die Person und die Werke Gottes zu erkennen.

Es kommt noch etwas hinzu. Wir Menschen sind auf unseren Gott ausgerichtet geschaffen worden. Paulus beendet den Abschnitt über Gottes Ratschlüsse mit seinem Volk Israel (Röm 9-11) mit der Aussage, dass wir von Ihm (Ursprung), durch Ihn (Erhaltung) und für Ihn (Ziel) geschaffen worden sind (Röm 11,36). Das heißt, wir sind zielgerichtete Wesen. Ich vergleiche dies mit einem inneren Kompass. Dieser ist jedem Menschen in seiner „Bauweise“ eigen. Ohne Sünde würde sich dieser Kompass automatisch auf Gott ausrichten und Ihn suchen. Ja, selbst nach dem Sündenfall sucht der Menschen dauernd nach Ihm. Allerdings muss er dieses Denken unterdrücken („niederhalten“, Röm 1,18) und sich an einem Ersatz ausrichten.

Schöpfer oder Geschaffenes

Dies bringt uns zurück zur Frage nach den Beteiligten in jedem Lernprozess. Es gibt zwei grundsätzliche Kategorien: Schöpfer und Geschaffenes. Als Gottersatz bietet sich deshalb nur das Geschaffene an (vgl. Röm 1,23). Innerhalb dieser Kategorie gibt es jedoch unzählige Varianten.

Die Ausrichtung auf sich selbst

Die erste und die dem sündigen Menschen vorderste Alternative ist das Selbst. Er bestimmt sich selbst als den Ersatz für Gott und richtet sein Denken und Handeln an sich aus. Auf Lernprozesse übertragen bedeutet dies: Er richtet die Bemühung an eigenen Kriterien aus. Besonders beliebt sind dabei Gefühle. „Es ist einfach ein gutes Gefühl, so viel gelernt zu haben“, verrät mir ein strebsamer Student. Aus dem gleichen Grund antworten viele andere: „Weil das Lernen so mühsam ist, schiebe ich es möglichst lange hinaus.“

Die Ausrichtung auf andere Menschen

Die zweite Möglichkeit lautet: Ein anderer Mensch. Wir wollen zum Beispiel die Anerkennung eines Vorgesetzten bekommen und mühen uns deshalb so ab, wie wir es sonst nie tun würden. Oder wir wollen einer anderen lernenden Person imponieren. Dies spornt uns zu ungeahntem Mehraufwand an.

Wir haben uns gerade zwei grundsätzliche Möglichkeiten überlegt, auf wen Lernprozesse ausgerichtet sein können, nämlich auf sich selbst („ich“) oder eine andere Person („du“). Es gibt noch eine dritte Möglichkeit: Wir richten uns nach einem Kollektiv („wir“) aus. Dies können eine Studentenzunft, die Erfordernisse einer Elite-Universität oder gar das Gedankengebäude einer nicht mehr lebenden Person, zum Beispiel Karl Marx, sein.

Die Ausrichtung auf die übrige Schöpfung

Unter der Kategorie des Geschaffenen ist zusätzlich die unbeseelte Welt, also die übrige Schöpfung, zu nennen. Tiere (na gut, wir gehen davon aus, dass sie zwar ein Gedächtnis, Empfindungen sowie Beziehungsfähigkeit aufweisen, doch wir ordnen sie in der Regel nicht den Menschen zu) und Gegenstände können ebenfalls Ziele unseres Lernens werden. Gerade bei Menschen, die sich enttäuscht von ihrer Art abwenden, beobachte ich häufig, wie sie sich einer bestimmten Tätigkeit verschreiben. Sie beginnen mit Hingabe mehr über eine bestimmte Tierart zu lernen. Oder sie geben sich dem Bau gewisser Fahrzeuge, Gebäude oder Konstruktionen hin. Merken wir, wie ich gerade diesen Satz formuliert habe? Es geht um Hingabe an etwas (bzw. an jemanden). Die Bibel nennt dies „Götzendienst“. Luther beschreibt es als das, woran wir unser Herz anstelle von Gott hängen.

Zwei Götzenkategorien in Lernprozessen

Wenn wir die gesamten Überlegungen noch etwas abstrakter fassen, dann können wir sagen: Die erste Götzenkategorie, woran wir Menschen unser Herz hängen können, ist der Mensch selbst. Sehr viele Lernkonzepte haben sich seit dem Verschwinden Gottes aus dem öffentlichen Leben an dieser ersten Alternative orientiert. Verallgemeinernd gesagt geht es um „Humanismus“, der Orientierung des Menschen an sich selbst.

In der Regel sind diese Denkschulen am Gedanken orientiert, dass der Mensch ideal geboren, jedoch von seiner Umwelt verdorben wird. Jean-Jacques Rousseau (1712-1778) formulierte es im Erziehungsklassiker „Emile oder über die Erziehung“ so: „Alles ist gut, wenn es aus den Händen des Schöpfers hervorgeht; Alles entartet unter den Händen des Menschen.“ Das Problem wird, im Gegensatz zur christlichen Lehre, laut der das Böse im Herz des Menschen zu verorten ist, in die Umgebung verlagert. Darüber gäbe es viel zu sagen. Mir geht es hier um die Grundeinsicht, dass dieses Denken letztlich einer Vergötzung des Menschen gleichkommt.

Die zweite Schule orientiert sich nicht am Menschen, sondern an der übrigen geschaffenen Welt. John Locke (1632-1704) beschrieb es in „Versuch über den menschlichen Verstand“ folgendermaßen: „Wir wollen also annehmen, die Seele sei, wie man sagt, ein weißes, unbeschriebenes Blatt Papier, ohne irgendwelche Vorstellungen.“ Woher kommt dann sämtliches Wissen? Locke: „All unser Wissen ist auf diese gegründet, und von ihr leitet es sich im letzten Grunde ab. Unser Beobachten, entweder der äußeren wahrnehmbaren Dinge oder der inneren Vorgänge in unserer Seele ist es, was den Verstand mit dem Stoff zum Denken versieht.“ Locke gibt also durchaus zu, dass der Mensch sich selbst beobachten kann. Dem vorgelagert sieht er jedoch die äußeren wahrnehmbaren Dinge. Die Pädagogik- und Psychologiestudenten unter meinen Lesern werden den Zusammenhang herstellen können, wenn ich jetzt das Stichwort „Evidenz-basiert“ fallen lasse. Die zweite Denkschule orientiert sich an Evidenzen, das heißt an beobachtbaren Wahrnehmungen.

Pan-Theismus und A-Theismus

Nochmals nachgesetzt: Wenn Gott aus dem Lernprozess ausgeklammert wird, gibt es zwei Ersatzmöglichkeiten. Entweder orientiert sich der Mensch an sich selbst. In diesem Fall „vergottet“ er sich selbst (Pan-Theismus: das bedeutet, dass er selbst ein Teil von Gott wird). Andere haben dies als Rationalismus bezeichnet, nämlich die Vergötzung des Verstandes. Eine Auswirkung dieses Denkens in Lernprozessen ist beispielsweise, dass behauptet wird, dass alles Wissen schon im Kind liege. Es müsse nur freigelegt werden.

Wenn er sich an beobachtbaren Gegenständen orientiert, dann wählt er die zweite Götzenkategorie: Die „Empirie“. Wiederum streue ich eine Beobachtung ein. Manchmal wenden sich Menschen, die von der Vergottung des Verstandes enttäuscht sind, der Umgebung zu. Sie wollen alles messbar werden lassen. Dies stellt den entgegengesetzten Pol dar: Nicht der Mensch wird zum Gott, sondern alles, inklusive des Menschen, wird zur Maschine degradiert (A-Theismus).

Aus der gesamten Abhandlung wird jedoch klar, dass beide Möglichkeiten Reduktionismen darstellen. Das bedeutet: Weil Gott ausgeblendet wird, muss sich der Mensch an einer Ersatzgröße orientieren. Reduktionismus bedeutet, dass das Konzept nicht in die gesamte Wirklichkeit passt. Deshalb wechseln Menschen im Laufe ihres Lebens oftmals die Kategorien bzw. richten sich nach Lebensbereichen die eine oder andere ein. In aller Regel wird für das öffentliche Leben (Ausbildung, Beruf, Wissenschaft) der Empirismus bevorzugt, während für den privaten Bereich (Freizeit, Familie) ein humanistisches Ideal gepflegt wird.

Fazit

Was in aller Welt sollen diese Überlegungen uns nützen. Lass mich einige Fragen stellen:

  1. Kennst du Lehrpersonen, die den Menschen vergöttern?
  2. Hast du schon enttäuschte Menschen kennengelernt, die sich von anderen Menschen abwenden und sich ganz Gegenständen verschrieben haben?
  3. Würdest du mir beipflichten, dass die erste Phase kindlichen Lernens eher vom humanistischen Ideal beherrscht wird, Berufsausbildung und Studium eher vom Empirismus?
  4. Hand aufs Herz: Zu welcher Götterkategorie neigst du selbst?

Das letzte Ziel jedes Lernprozesses ist die Gotteserkenntnis. Überlege dir, was dies für dein Lernen bedeutet.

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Kolumne: 19 Jahre Personalentwicklung – Hanniel bloggt. 1. November 2018 - 10:06

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