Teil I: Vergebung von anderen Menschen in Anspruch nehmen…

von Jörn Hägele
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Hast du schon mal deinen besten Freund sitzen lassen? Termin extra lange im Voraus abgemacht. Schon lange drauf gefreut. Aber irgendwie hast du am Abend vorher einfach vergessen, dass es morgen schon so weit ist. Irgendwann kam dann eine Nachricht bei mir an: Wo bist du? Hast du mich vergessen? Die Antwort: Ja, einfach vergessen, einfach verplant. Alle Tut-mir-leid-Worte können nicht helfen. Die Gelegenheit zum langersehnten Treffen ist vorbei, der Alltag läuft weiter.

Die richtigen Worte in so einer Situation sind: Entschuldige bitte, vergib mir.

1. … kostet (mehr als nur Überwindung).

Vergebung kostet vor allem die Person etwas, die uns vergeben muss. Der Freund im Beispiel von oben hat sich die Zeit extra freigehalten. Zu vergeben, kostet ihn also Zeit. Ohne Vergebung hätte er eigentlich das Recht auf eine Gegenleistung von entsprechendem Wert. Zeit können wir ihm schwer erstatten, aber Zeit ist bekanntlich Geld. Vergebung ist kostspielig. Vor allem für die Personen, die uns vergeben. Sie verzichten nämlich auf etwas, was ihnen eigentlich von uns zugestanden hätte. Manche Vergebung kostet mehr, manche weniger. Ich habe hier bewusst ein Beispiel gewählt, in dem der Preis nicht so hoch angesetzt ist, damit du verstehst, dass es etwas ganz Alltägliches ist, Vergebung in Anspruch zu nehmen.[1] Selbst wenn du das Beispiel mit dem versehentlichen Sitzenlassen nicht optimal findest, gelten dieselben Spielregeln für alle anderen Sünden: Der Geschädigte hat das Recht auf eine Gegenleistung oder er vergibt.[2]

Es kommt nicht so oft vor, dass ich andere Leute versetze. Das soll anderen Menschen ja anders gehen… Als ich also meinen Freund versetzt habe, war mir ziemlich schnell klar, dass er jetzt darunter leiden muss. Er musste meine Sünde ertragen. Darum wusste ich auch, dass er mich entschuldigen (die Schuld von mir nehmen) musste. Er musste mir vergeben. Trotzdem fiel es mir nicht so leicht, die einfachen Worte auszusprechen: Entschuldige bitte, vergib mir.

Auch bei dir gibt es sicherlich Situationen, in denen dir schnell bewusst ist, dass eine andere Person unter deiner Sünde leiden mussten. Und auch bei mir gibt es unzählige andere Sünden, die andere Personen beeinträchtigen. Wenn ich aber darüber nachdenke, wie selten die Worte „Vergib mir bitte“ oder „Entschuldige bitte“ mit vollem Ernst über meine Lippen gehen, bin ich beschämt. Ich versuche oft, die Sache innerlich mit mir selbst zu klären oder irgendwie über längere Zeit Gegenleistungen zu erbringen: „Ich habe ihm mal das und das angetan, deswegen bin ich jetzt immer besonders freundlich“ oder „deswegen gehe ich ihm jetzt immer aus dem Weg und belästige ihn lieber nicht mit meiner Gegenwart“ oder „deswegen kriegt er jedes Weihnachten das größte Geschenk“.

Um Vergebung zu bitten, kostet ganz schön Überwindung, weil es bedeutet: Ich komme mit meiner Sünde nicht allein zurecht. Jemand anders ist involviert. Ich trage die Schuld dafür, dass eine andere Person betroffen ist, und bin abhängig von dem Freispruch der Person, damit unsere Beziehung wiederhergestellt wird. Dann lohnt sich die Überwindung aber, weil wieder alles im Reinen zwischen den beiden Parteien ist. Die Freundschaft ist wieder von Freude statt von Schuld geprägt.[3]

2. … weist uns auf Christus hin.

Stell dir vor, Jesus wäre in deinem Freundeskreis. Er müsste sich niemals bei einem von euch entschuldigen. Aber er müsste ständig vergeben. Er müsste auch dir ständig vergeben. Und vermutlich müssen das auch deine anderen Freunde. Selbst wenn Jesus also nur einer von deinen fünf Freunden wäre, müsste er trotzdem etwa ein Fünftel der Vergebungen vornehmen, die du brauchst.

Es ist aber noch viel schlimmer: Jedes Mal, wenn wir sündigen, ziehen wir die Ehre Jesu in Mitleidenschaft. Als seine Geschöpfe werfen wir ein schlechtes Licht auf ihn. Jede Sünde ist zuerst gegen Gott.[4] Daher brauchen wir bei jeder Sünde vorrangig Vergebung von Gott. Wenn wir Vergebung von anderen Menschen in Anspruch nehmen müssen, kann uns daran erinnern, dass alle Sünde zuerst gegen Gott ist. Und er vergibt uns gerne.[5]

[1] Du fragst dich vielleicht, was an dem Beispiel oben so schlimm sein soll – insbesondere Menschen aus anderen Kulturkreisen dürfte das vermutlich so gehen. Stell dir mal vor, du wüsstest, dass es dem Freund wichtig ist, dass du pünktlich bist. Er selbst kommt immer rechtzeitig, um dir zu zeigen, dass du ihm wichtiger bist als irgendwelche Dinge, die er vorher tun könnte. Es wäre als guter Freund also nur natürlich, dass du ihm eine Freude bereiten willst, indem du pünktlich kommst. Vielleicht ist das Versetzen aus dem Beispiel nicht das eigentliche Problem, sondern nur ein Hinweis darauf, dass du die Freundschaft nicht so ernst nimmst, wie du vorgibst. Dann brauchst du dafür Vergebung von ihm, weil du ihm nicht in der Liebe begegnest, die angemessen wäre.

[2] Zu diesem ersten Absatz gibt es unzählige Artikel und Ausführungen. Ein biblisches Beispiel findet sich im Buch Philemon, wo ein entlaufener Sklave Christ geworden ist. Es wird beispielsweise von John MacArthur in seinem Buch Vergeben befreit (2008, Bielefeld: CLV) auf den Seiten 104–105 erläutert. An dieser Stelle möchte ich allerdings stärker darauf eingehen, was es bedeutet, selbst Vergebung von anderen Menschen in Anspruch zu nehmen.

[3] Es gibt natürlich Fälle, in denen die andere Person nicht vergibt. Mehr dazu in Teil 3 dieser Serie.

[4] Lies dazu bspw. 1 Mose 39,9; Psalm 51,4. Außerdem ist Sünde Gesetzesübertretung (vgl. 1 Joh 3,4; Röm 4,15) und das Gesetz ist von Gott. Und Gott hat die Menschen geschaffen, wenn wir also seine Geschöpfe schlecht behandeln, haben wir es letztlich mit Ihm zu tun.

[5] Lies dazu bspw. Zefanja 3,17; Daniel 9,9; Jakobus 5,15.

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